Turbulente Zeiten für Öffentliche Bibliotheken

“kalt – warm”, dieses Gegensatzpaar beschreibt in der Tat treffend das Wechselbad der Gefühle, dem die Öffentlichen Büchereien in den vergangenen Monaten bzw. Jahren ausgesetzt waren. Da gibt es – als Highlights – auf der einen Seite die unter dem warmen Scheinwerferlicht der medialen Öffentlichkeit erfolgte Fertigstellung der neuen Wiener Hauptbücherei am Gürtel im April 2003 sowie die für den heurigen Herbst geplante Eröffnung der großen Bezirksbücherei bei der Philadelphiabrücke in Wien-Meidling. Aber auch der sogenannte “Wissensturm” in Linz, welcher der dortigen Stadtbücherei gemeinsam mit der Volkshochschule eine neue und repräsentative Heimstatt bieten wird, wirft einen (noch virtuellen) Schatten. Auf der anderen Seite – und viel weniger wahrgenommen – waren u.a. folgende schwerwiegenden Verluste zu beklagen:

kalt-warm

Nach so viel Lamentieren drängt sich natürlich die Frage auf: Entspringt es nur der “österreichischen Nationaleigenschaft” des Raunzens, wenn dem Nicht-mehr-Bestehenden nachgeweint wird, oder stellen diese “Strukturbereinigungen” bereits Vorleistungen in Hinblick auf die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen im Rahmen des GATS dar?

Werden also durch solch rigorose Maßnahmen “nur” Kundenwünsche ignoriert oder – weit darüber hinaus – elementare BürgerInnenrechte gefährdet?

Von den für die Schließungen verantwortlichen PolitikerInnen wurde immer wieder ins Treffen geführt, die zugesperrten Einrichtungen wären nicht mehr “zeitgemäß” (Vbm. Laska in Wien), sie entsprächen nicht den “Kernaufgaben” Öffentlicher Büchereien, es existiere ein “Überangebot” an Büchereien (LH van Staa in Tirol), oder “die Grenzen des Wachstums einer lokalen Bücherei seien überschritten worden” (Kultur[!]leitbild Dornbirn). Wer aber besitzt eigentlich die Definitionshoheit darüber, was zeitgemäß, notwendig und sinnvoll ist? Jedenfalls manifestiert sich in solchen Aussagen deutlich der geringe politische Stellenwert des Öffentlichen Bibliothekswesens in Österreich.

Österreich ist – welche Untersuchung auch immer man heranzieht, ob PISA oder die umfangreiche Studie der Kommunikationswissenschaftlerin Margit Böck “Leseförderung als Kommunikationspolitik” – nicht als hervorstechendes Lese-Land bekannt. Das mag viele Ursachen haben, auf jeden Fall aber muss man dafür die wenig entwickelte Struktur des Öffentlichen Büchereiwesens verantwortlich machen. Dieses leidet nämlich unter etlichen gravierenden Problemen bzw. Versäumnissen:

Und so muss man – traurigen Herzens – dem Leiter der Büchereien Wien zustimmen, der anlässlich der Eröffnung der neuen Wiener Hauptbücherei gemeint hat: “Länder wie Finnland oder Dänemark, die in der viel zitierten PISA-Studie im Bildungsvergleich vorne liegen, haben auch ein umfangreiches und attraktives öffentliches Bibliothekswesen. ... In der PISA-Studie wurde bei Österreich extra auf unsere schwache Infrastruktur bei den Büchereien hingewiesen. Das ist immer untergegangen.” (Alfred Pfoser zur APA, 04.04.2003)

Notwendig wäre daher eine nationale Kraftanstrengung zur (qualitativen und quantitativen) Melioration der österreichischen Bibliothekslandschaft, denn auch hierzulande gilt: “Zu den Bibliotheken als Garanten der gesamtgesellschaftlichen Sicherung des Informations-zuganges gibt es keine Alternative. Jede technisch ausgestattete und mit geschultem Fachpersonal besetzte Bibliothek kann diese Aufgabe leisten – es ist keine Frage der Größe der Bibliothek. Entscheidend ist ihre Einbindung in das Netzwerk der öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken und dessen weltweite digitale Öffnung” (Erklärung des Kulturausschusses des Deutschen Städtetages vom 23.10.1997).

 

Nikolaus Hamann, Büchereien Wien